File spoon-archives/marxism.archive/marxism_1995/95-11-marxism/95-11-30.000, message 168


From: "Wolfgang Haible, Bibliothek" <HAIBLE-AT-hbi-stuttgart.de>
Date:          Wed, 29 Nov 1995 09:15:22 -0100
Subject:       One use of Gramsci


Lieber Chris,

> Es ist komisch dass man kein Gramsci in der DDR lesen konnte.

Man konnte schon Gramsci lesen, nur in einer bereinigten und 
ausgewaehlten (korrigierten) Form.
Verboten waren und blieben im sogen. "Giftschrank" vor allem die Werke 
der Deutschen Kommunistischen Opposition (KPD-O), also Brandler und 
Thalheimer und natuerlich Trotzki u.a. 
Ein Freund aus der DDR, der von seinem Professor in Leipzig darauf 
aufmerksam gemacht wurde, brauchte mehrere "Passagierscheine", um an 
diese Literatur zu kommen. Kopieren war verboten oder musste extra 
genehmigt werden.

> Es scheint dass es viel Interesse ueber 
Gramsci jetz in > Deutschland gibt. 
Ja, vielleicht macht ja Thomas einmal eine UEbersicht zur Debatte um 
den Begriff der Zivilgesellschaft?
 
> "aneignen" bedeutet etwas starker als "read", ich glaube.
Ja, im Woerterbuch stehen: appropriate, acquire.
Aneignung ist ein wichtiger Begriff in der marxistischen Theorie in 
Deutschland; er meint nicht nur lesen (und dann vergessen...), 
sondern ihn wirklich "verinnerlichen", damit umgehen. Aneignung ist 
in gewisser Weise das Gegenteil von Entfremden.  
(Wenn Du und Ihr wollt, kann ich versuchen, aus dem Historisch-
Kritischen Woerterbuch des Marxismus von W.F. Haug, eine 
Zusammenfassung zu machen.)
> Was wuerde die "Rolle der Intellektuellen" im deutschen Kontext 
sein? > 
Auf der Liste wird ja auch ueber die Rolle der Intellektuellen und 
ihrer Beziehung zur Arbeiterklasse diskutiert. Ich glaube, Gramsci 
ueberwindet Lenins Vorstellung, die er ja von Kautsky hat, dass das 
wissenschaftliche und sozialistische Bewusstsein der Arbeiterklasse 
"von aussen" zugetragen werden muss. Fuer Gramsci sind die 
Parteimitglieder ebenfalls "Intellektuelle". 
Das ist nicht nur ein schoenes Wort, sondern sehr wichtig fuer uns 
heute. Ein Beispiel: Einer meiner Freunde aus der DKP (Deutsche 
Kommunistische Partei), der jetzt in der PDS ist, ist immer noch auf 
die DKP-Fuehrung aergerlich, weil diese ihm nicht die Wahrheit gesagt 
hatte. Das stimmt, ist aber nur die halbe Wahrheit. Wir konnten doch 
im Westen an alle Quellen heran (von der Rede Chruschtschows zu 
Stalins Verbrechen bis zur Lektuere von Trotzki, Thalheimer usw. usf. 
So konnten und koennen die Maoisten auch anderes lesen, auch zu Mao 
gab es Alternativen - so Liu Shaoqi u.a.). Im Osten war das anders.
Die entscheidende Frage ist heute fuer mich die nach der Rolle der 
"einfachen" Parteimitglieder. Vielleicht war bisher zuviel Disziplin 
geuebt worden, wir sagen dazu "Kadavergehorsam"?

I give few words about the possibility in GDR zu read the critical 
marxist. Gramscis notes to the role of the intellectuals ist one step 
forward from Lenis theory ob building class-consciousness from 
outside (by Party-Leaders?!). 

kind regards - freundliche Gruesse
WolfgangWolfgang Haible
Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart
FH Stuttgart - Hochschule fuer Bibliotheks- und Informationswesen (HBI)
Bibliothek 
Tel.: 0711 - 25706-34



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